Sie studierte hier, in diesem Haus, an der damaligen Werkkunstschule, von 1971 bis 1977, zuerst Malerei, bei Professor Robert Preyer, dann Freie Grafik bei Professor Oswald Michel, allerdings mit einer Unterbrechung, als sie in Berlin 1973 ein Jahr Theaterwissenschaft studierte.

Nach ihrer Studienzeit zeichnete Marion Thomas Menschen und mit Vorliebe Portraits. Sie tat das nach eigener Aussage, mit liebevoller Genauigkeit, ja fast in fotorealistischer Manier. Jedes einzelne Härchen wurde gezeichnet. Ihr einziges Hilfsmittel war der Bleistift, manchmal auch Buntstifte.

Von 1978 bis 1982 lebte Marion Thomas in England. Das ist wichtig und erwähnenswert: Sie beginnt nämlich, unter dem Einfluss ihrer neuen Umgebung, Landschaften und vor allem Bäume zu zeichnen. Sie lernt in England die enorme Verbundenheit und Liebe der Engländer zur Natur kennen. Außerdem befindet sie sich in einer Gesellschaft, die, wie nirgendwo sonst in Europa, eine ausgesprochene Tradition für Landschaftsaquarelle, Zeichnungen oder Tuschen hat.  Das alles lernt sie kennen, und findet sich wieder, in den melancholischen Landschaften und den geheimnisvollen, alten Bäumen.

1982 kommt Marion Thomas mit diesen meist großformatigen, liebevoll im Detail ausgeführten Bleistiftzeichnungen zurück nach Wiesbaden und wird künstlerisch mit einer ganz anderen Wirklichkeit konfrontiert. In Deutschland, wie überall in Europa, ist Malerei angesagt: abstrakt, informell, minimalistisch, - Farbfeldmalereien. Gerade beginnen die jungen Wilden erste Erfolge einzuheimsen. Auch ihre Studienfreunde und – Freundinnen haben sich längst mit dieser zeitgenössischen Kunstströmung auseinandergesetzt.  Die Zeit von 1982 bis 1985 bezeichnet Marion Thomas als“ die Zeit der Findung“. Sie beginnt, angeregt durch ihre Umgebung, zu malen, und zwar, wie sie sagt: „abstrakt“; sie zeichnet aber weiterhin mit dem Stift realistisch.

1985 scheint sie ihren Weg oder immerhin eine Lösung gefunden zu haben. Sie spaltet sich sozusagen in zwei Künstler-persönlichkeiten: Der Stift, und damit die realistische Arbeitsweise, bleibt der Auftragskunst vorbehalten; Kinderbuch-illustrationen, Theaterplakate, Portraits. In ihrer freien Arbeit malt sie nun ausschließlich und zwar immer mehr abstrahierend.

Obwohl sie sich bei dieser Arbeitsteilung oder Splitting ganz wohl fühlt und auch Fortschritte macht, spielt ihr das Unbewusste einen Streich. In all ihren Malereien taucht für sie immer wieder überraschend, ein Fuchs und ein Dreieck auf; das Dreieck bezeichnet Marion Thomas auch als Pyramide. Für diesen Vorgang hat sie keine Erklärung. Es überrascht sie aber, dass sich der Fuchs aus den Arbeiten verabschiedet, als sie wieder beginnt, mit dem Stift zu arbeiten. Sie sehen hier, die neueren Arbeiten von 1996, eine Mischung aus Zeichnung und Malerei.

Marion Thomas bezeichnet ihre Arbeiten als abstrakt. Laut Brockhaus bedeutet: abstrakte Kunst, auch absolute, gegenstandslose oder gegenstandsfreie Kunst. Dann weiter: Das abstrakte Kunstwerk kann Dingliches in stark abgewandelter Gestaltung noch erkennen lassen oder allein aus Formen und Farben gebildet sein.

Trotz dieser Auslegung sind die Arbeiten von Marion Thomas nicht rein abstrakt. Sie sagt zwar: “ich beginne einfach zu zeichnen, manchmal mit geschlossenen Augen“ , oder “ich drehe das Blatt immer wieder um die eigenen Achse“; oder “ich zeichne mit Bewusstsein keine Formen“. Trotzdem ist sie selbst überrascht, wenn in ihren, mit dem Stift gezeichneten Mischtechniken, Horizonte sichtbar werden, ungewollt Landschaften entstehen; Häuser, Kirchen und Bäume wachsen. Das Phänomen bleibt bestehen: Das Formenrepertoire, das Marion Thomas zur Verfügung steht, wenn sie zeichnet, ist nicht rein abstrakt, es schleichen sich ganz automatisch visuelle Vorbilder, schemenhafte Erinnerungen von Gegenständen und Dingen ein. Das macht den Reiz dieser Arbeiten aus: Nicht realistisch, nicht abstrakt aber auch nicht surrealistisch; halb Erinnerung und halb Vision und von allem etwas. Das lässt unserer Phantasie Spielraum, weckt Erinnerungen, lässt uns träumen.

Monika Rohrmus

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(c) 2018 Marion Thomas
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1951  geboren, Wiesbaden
1971  Universität Frankfurt/Main, Theaterwissenschaften
1973  Freie Universität Berlin, Theaterwissenschaften
1974  Fachhochschule für Gestaltung, Wiesbaden
         Freie Graphik bei Professor Oswald Michel
1977  Examen Diplom Design
1977  Beginn Freiberuflichkeit
1978  Wohnsitz in England (East Grinstead und Exeter)
1982  Rückkehr nach Wiesbaden


Eröffnungsrede zur Vernissage im Forum von Kunsthaus Wiesbaden,1996: "Marion Thomas ist Zeichnerin"